Ruanda und Rauchen? Diese Verbindung besteht zumindest in
der Westprovinz praktisch nicht. Ich habe in den vergangenen zwei Wochen
niemanden eine Zigarette rauchen sehen. Im Gespräch mit den Kollegen wird
deutlich, dass es sicher in den urbaneren Regionen Nikotinfreunde gibt,
allgemein jedoch Raucher als „behind“ und mit entsprechendem Missverständnis
angesehen werden.
Ruanda und Alkohol? Die aktiven Anhänger der hiesigen
methodistischen Kirche sind wohl im wesentlichen Abstinenzler, wobei ich
Gesprächen mit den Kollegen entnehme dass diese strikte Betrachtungsweise nicht
allseits geteilt wird. Ruanda hat jedoch natürlich Brauereien, welche die
einheimischen Sorten „Primus“, „Mützig“ und „Turbo Lion“ (Ale mit 6,5%)
produzieren. Diese ähneln ansonsten eher unseren weniger herben süddeutschen
Bieren. Um einen gemeinsamen Sozialabend unter entspannteren Bedingungen als
beim letzten mal zu verbringen, wird im zweiten Nachbardorf Kamuga ein Tisch im Lokal Maseka bestellt um
unseren bald bevorstehenden Abschied zu feiern.
Doch zunächst zum Tageswerk. Die Darmerkrankungen aus
chirurgischer Sicht sind was die Häufigkeit angeht doch ganz anders als in
Europa. Während Darmverschlüsse in Europa häufig durch Darmtumore und
entzündliche Engstellungen, sowie durch Verwachsungen nach Voroperationen
bedingt sind, sind es hier deutlich häufiger parasitäre Erkrankungen (der
vorher erwähnte Ascaris), eingeklemmte Hernien und „Verdrehungen“ die durch
größere Beweglichkeit des Darmes bei entsprechend größerer Länge (sicherlich
durch balaststoffreichere Ernährungen mitbedingt) resultieren (sog. Volvolus).
Erkrankungen wie Darmtumore und z.B. die Sigmadivertikulitis treten ähnlich wie
die Appendizitis erst bei steigendem
Wohlstand und entsprechend geänderten Ernährungs- und Aktivitätsgewohnheiten
auf. Der 45j.-Patient den Dieudonne in der vorangegangenen Nacht aufgenommen
hat, weist einen erheblich geblähten und gespannten Bauch, sowie Stuhlverhalt
seit einigen Tagen auf. Die vorausgegangene Selbstbehandlung mit „traditional
medicin“ habe natürlich keinen Erfolg gezeigt, berichtet unser kongolesischer
Kollege mit süffisantem Unterton. Gleichzeitig habe er (Dieudonne) auch die
Aufregung des diensthabenen Internisten nicht verstehen können und den
dehydrierten Patienten zunächst einer „resuscitation“ mit Infusionen unterzogen
und auf eine nächtliche Operation des dehydrierten Patienten verzichtet (-> der
erfahrene Chirurg). Pünktlich um 8 liegt der Patient vorbereitet auf dem
OP-Tisch. Die Laparotomie bestätigt die radiologische Verdachtsdiagnose eines
Sigmavolvolus, worauf die Entfernung eines ca. 30cm langen massiv dilatierten
Sigmacolons erfolgt. Stoma ja/nein ist eine relevante Frage, wobei Dieudonne
die gleiche Einstellung wie meine viszeralchirurgische Schule vertritt und bei
vitalem Darm ohne Perforation/Peritonitis die primäre Neuverbindung der Enden
ohne vorgeschalteten künstlichen Darmausgang favorisiert (wie wir es dann auch
machen). Das Standardwerk der Chirurgie in Entwicklungsländern „Primary
Surgery“ ist da deutlich vorsichtiger und verbietet fast konsequent
ungeschützten Dickdarmanastomosen in Situationen eines akuten Abdomens. Dies
ist gleichzeitig auch der letzte allgemeinchirurgische Eingriff meines Aufenthalts,
fortan operiert Rainer weitere unfallchirurgische Punkte (u.a. einen
Schienenbeinnagel bei Unterschenkelbruch).
Der unvorhergesehene Eingriff am
Morgen sorgt dafür, dass wir erst nach 19 Uhr gemeinsam mit fast der ganzen
Anästhesie-, OP-, und Steri-Mannschaft den Weg zum Restaurant Maseka unter nächtlichen
Lichtverhältnissen beginnen. (Habt ihr mal versucht bei Dunkelheit afrikanische
Bekannte zu identifizieren? ;-) )
Die Stimmung ist entspannt und freundlich. Es gibt als
Snacks Fleischspieße und Kochbananenpommes, ferner Limo und Bier. Die Themen
beinhalten Medizin und Patienten, Bildungssystem, erlernte Fremdsprachen.
Dieudonne erwähnt das er in der glücklichen Situation ist, dass Suaheli (seine
„mother language“) eine von den vier amtlich im Kono anerkannten Sprachen ist
(insgesamt verfügt die kongolesische Bevölkerung über 450 Sprachen. Weiter geht
es mit gegenseitigem Vorsingen und Übersetzen der Nationalhymnen. Charles aus dem Steri hat zur Feier des Tages einen blauweißen Oktoberfesthut aufgesetzt.
Die Frage des perönlichen Umgangs der Ruandesi mit dem Genozid im Jahre 1994
hatte ich schon vorher oft gewälzt . Wenn man sieht dass in Ruanda 6-jährige
bei der Landarbeit helfen, muss man annehmen dass auch 12-jährige Macheten
geschwungen haben. Leute meines Alters waren zum Zeitpunkt des Völkermordes als
binnen ca. 100 Tagen nahezu eine Millionen Menschen (vornehmlich Tutsi)
ermordet wurden 17 Jahre alt. Nahezu alle mit denen wir zusammen arbeiten haben
diese schreckliche Zeit aktiv und bewusst erlebt (ob als Opfer, Täter oder
unbeteiligt). Ich frage also den gleichaltrigen Gilbert mit aller gebotenen
Vorsicht wie der zwischenmenschliche Umgang mit diesem Thema ist, gleichzeitig
bin ich fast froh dass die meisten nicht soviel englisch verstehen um unserem
Gespräch en detail zu folgen. Er antwortet mir, dass das Thema allseits
gemieden werde, dass er auch seinen Kindern auf Nachfrage nicht sage wer welche
Rolle gespielt habe. Der Rahmen der der differenzierten persönlichen
Aufarbeitung geboten sei sind „moderierte“ Gespräche im Rahmen der Gedenkwoche
Anfang April. Es wird mir innerhalb dieser Runde von Menschen bewusst, mit
denen ich freund(schaft)lich beisammen sitze, dass eine detaillierte Kenntnis
über die Rolle jedes Einzelnen in den Geschehnissen eine unerträgliche
Belastung wäre, vielmehr würde ein permanenter offensiver Umgang damit zu einem
Zerbrechen der ruandischen Gesellschaft führen. Prozesse wurden geführt, viele
Täter hingerichtet oder zu langen Haftstrafen verurteilt. In der Zeit der
Kinder- und Enkelkindergeneration der Nazitäter in Deutschland kommt ja gelegentlich
der Vorwurf auf, eine frühzeitige Aufarbeitung der Beteiligung aller sei
versäumt worden. Erst 50 Jahre später werden der Öffentlichkeit psychologische
Überlegungen zum „Tätervolk“, „Hitlers Helfern“, „Soldaten“ angestellt,
überlebene 90jährige Täter werden aus Pflegeheimen in Gerichtssäle verlegt. Mit dem Zeigefinger aus der Gunst der späteren
Geburt in die Vergangenheit zu deuten ist ein Einfaches. In einer im
Wiederaufbau befindlichen Gesellschaft mit aktuellen essentiellen Problemen
zukunftsgewandt zu leben ein Anderes und schwierigeres, das galt/gilt für beide
Gesellschaften.
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Dieudonne et moi |
Die geballte Kompetenz und Erfahrung der Anästhesie und OP-Pflege des Kibogora-Hospital (Manasse, Gilbert, Joel, Isaka, Emanuel) |
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