Donnerstag, 13. November 2014

Donnerstag, vorgezogene Abschiedsfeier



Ruanda und Rauchen? Diese Verbindung besteht zumindest in der Westprovinz praktisch nicht. Ich habe in den vergangenen zwei Wochen niemanden eine Zigarette rauchen sehen. Im Gespräch mit den Kollegen wird deutlich, dass es sicher in den urbaneren Regionen Nikotinfreunde gibt, allgemein jedoch Raucher als „behind“ und mit entsprechendem Missverständnis angesehen werden. 

Ruanda und Alkohol? Die aktiven Anhänger der hiesigen methodistischen Kirche sind wohl im wesentlichen Abstinenzler, wobei ich Gesprächen mit den Kollegen entnehme dass diese strikte Betrachtungsweise nicht allseits geteilt wird. Ruanda hat jedoch natürlich Brauereien, welche die einheimischen Sorten „Primus“, „Mützig“ und „Turbo Lion“ (Ale mit 6,5%) produzieren. Diese ähneln ansonsten eher unseren weniger herben süddeutschen Bieren. Um einen gemeinsamen Sozialabend unter entspannteren Bedingungen als beim letzten mal zu verbringen, wird im zweiten Nachbardorf  Kamuga ein Tisch im Lokal Maseka bestellt um unseren bald bevorstehenden Abschied zu feiern.

Doch zunächst zum Tageswerk. Die Darmerkrankungen aus chirurgischer Sicht sind was die Häufigkeit angeht doch ganz anders als in Europa. Während Darmverschlüsse in Europa häufig durch Darmtumore und entzündliche Engstellungen, sowie durch Verwachsungen nach Voroperationen bedingt sind, sind es hier deutlich häufiger parasitäre Erkrankungen (der vorher erwähnte Ascaris), eingeklemmte Hernien und „Verdrehungen“ die durch größere Beweglichkeit des Darmes bei entsprechend größerer Länge (sicherlich durch balaststoffreichere Ernährungen mitbedingt) resultieren (sog. Volvolus). Erkrankungen wie Darmtumore und z.B. die Sigmadivertikulitis treten ähnlich wie die Appendizitis  erst bei steigendem Wohlstand und entsprechend geänderten Ernährungs- und Aktivitätsgewohnheiten auf. Der 45j.-Patient den Dieudonne in der vorangegangenen Nacht aufgenommen hat, weist einen erheblich geblähten und gespannten Bauch, sowie Stuhlverhalt seit einigen Tagen auf. Die vorausgegangene Selbstbehandlung mit „traditional medicin“ habe natürlich keinen Erfolg gezeigt, berichtet unser kongolesischer Kollege mit süffisantem Unterton. Gleichzeitig habe er (Dieudonne) auch die Aufregung des diensthabenen Internisten nicht verstehen können und den dehydrierten Patienten zunächst einer „resuscitation“ mit Infusionen unterzogen und auf eine nächtliche Operation des dehydrierten Patienten verzichtet (-> der erfahrene Chirurg). Pünktlich um 8 liegt der Patient vorbereitet auf dem OP-Tisch. Die Laparotomie bestätigt die radiologische Verdachtsdiagnose eines Sigmavolvolus, worauf die Entfernung eines ca. 30cm langen massiv dilatierten Sigmacolons erfolgt. Stoma ja/nein ist eine relevante Frage, wobei Dieudonne die gleiche Einstellung wie meine viszeralchirurgische Schule vertritt und bei vitalem Darm ohne Perforation/Peritonitis die primäre Neuverbindung der Enden ohne vorgeschalteten künstlichen Darmausgang favorisiert (wie wir es dann auch machen). Das Standardwerk der Chirurgie in Entwicklungsländern „Primary Surgery“ ist da deutlich vorsichtiger und verbietet fast konsequent ungeschützten Dickdarmanastomosen in Situationen eines akuten Abdomens. Dies ist gleichzeitig auch der letzte allgemeinchirurgische Eingriff meines Aufenthalts, fortan operiert Rainer weitere unfallchirurgische Punkte (u.a. einen Schienenbeinnagel bei Unterschenkelbruch). 
Der unvorhergesehene Eingriff am Morgen sorgt dafür, dass wir erst nach 19 Uhr gemeinsam mit fast der ganzen Anästhesie-, OP-, und Steri-Mannschaft den Weg zum Restaurant Maseka unter nächtlichen Lichtverhältnissen beginnen. (Habt ihr mal versucht bei Dunkelheit afrikanische Bekannte zu identifizieren? ;-) )
Die Stimmung ist entspannt und freundlich. Es gibt als Snacks Fleischspieße und Kochbananenpommes, ferner Limo und Bier. Die Themen beinhalten Medizin und Patienten, Bildungssystem, erlernte Fremdsprachen. Dieudonne erwähnt das er in der glücklichen Situation ist, dass Suaheli (seine „mother language“) eine von den vier amtlich im Kono anerkannten Sprachen ist (insgesamt verfügt die kongolesische Bevölkerung über 450 Sprachen. Weiter geht es mit gegenseitigem Vorsingen und Übersetzen der Nationalhymnen. Charles aus dem Steri hat zur Feier des Tages einen blauweißen Oktoberfesthut aufgesetzt.

Die Frage des perönlichen Umgangs  der Ruandesi mit dem Genozid im Jahre 1994 hatte ich schon vorher oft gewälzt . Wenn man sieht dass in Ruanda 6-jährige bei der Landarbeit helfen, muss man annehmen dass auch 12-jährige Macheten geschwungen haben. Leute meines Alters waren zum Zeitpunkt des Völkermordes als binnen ca. 100 Tagen nahezu eine Millionen Menschen (vornehmlich Tutsi) ermordet wurden 17 Jahre alt. Nahezu alle mit denen wir zusammen arbeiten haben diese schreckliche Zeit aktiv und bewusst erlebt (ob als Opfer, Täter oder unbeteiligt). Ich frage also den gleichaltrigen Gilbert mit aller gebotenen Vorsicht wie der zwischenmenschliche Umgang mit diesem Thema ist, gleichzeitig bin ich fast froh dass die meisten nicht soviel englisch verstehen um unserem Gespräch en detail zu folgen. Er antwortet mir, dass das Thema allseits gemieden werde, dass er auch seinen Kindern auf Nachfrage nicht sage wer welche Rolle gespielt habe. Der Rahmen der der differenzierten persönlichen Aufarbeitung geboten sei sind „moderierte“ Gespräche im Rahmen der Gedenkwoche Anfang April. Es wird mir innerhalb dieser Runde von Menschen bewusst, mit denen ich freund(schaft)lich beisammen sitze, dass eine detaillierte Kenntnis über die Rolle jedes Einzelnen in den Geschehnissen eine unerträgliche Belastung wäre, vielmehr würde ein permanenter offensiver Umgang damit zu einem Zerbrechen der ruandischen Gesellschaft führen. Prozesse wurden geführt, viele Täter hingerichtet oder zu langen Haftstrafen verurteilt. In der Zeit der Kinder- und Enkelkindergeneration der Nazitäter in Deutschland kommt ja gelegentlich der Vorwurf auf, eine frühzeitige Aufarbeitung der Beteiligung aller sei versäumt worden. Erst 50 Jahre später werden der Öffentlichkeit psychologische Überlegungen zum „Tätervolk“, „Hitlers Helfern“, „Soldaten“ angestellt, überlebene 90jährige Täter werden aus Pflegeheimen in Gerichtssäle verlegt.  Mit dem Zeigefinger aus der Gunst der späteren Geburt in die Vergangenheit zu deuten ist ein Einfaches. In einer im Wiederaufbau befindlichen Gesellschaft mit aktuellen essentiellen Problemen zukunftsgewandt zu leben ein Anderes und schwierigeres, das galt/gilt für beide Gesellschaften.


Sigmaresektion bei Sigma elongatum und Volvolus

Tibia-Nagel (SIGN-System)

Dieudonne et moi

Die geballte Kompetenz und Erfahrung der Anästhesie und OP-Pflege des Kibogora-Hospital (Manasse, Gilbert, Joel, Isaka, Emanuel)

Dieudonne und Stationsschwestern während der Visite im Männersaal, links im Bett zwei junge Männer mit jeweils Unterarmfraktur, die sich aufgrund der Belegung das Bett teilen müssen (sollte eigentlich nicht sein, ist aber manchmal/selten unumgänglich).

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