Mittwoch, 12. November 2014

Kinder- und Unfallchirurgie



Am Sonntagabend 22 Uhr klopft es an der Tür unseres Hauses. Sr. Julie weist auf einen 8-jährigenPatienten mit Bauchschmerzen hin, der sich im Emergency room befindet. 5 Tage kein Stuhlgang, Erbrechen vor 2 Tagen, recht gespannter Bauch und Spiegel im Röntgenbild, eigentlich eine OP-Indikation wäre nicht die schlechte Erfahrung vom Dienstag gewesen. Nachdem in der Nacht unter Infusionstherapie, Magensonde und Abführmaßnahmen keine Besserung eintritt erfolgt gegen 6.30 Uhr die Laparotomie. Die intraoperative Diagnose ist für Afrika eher ungewöhnlich: Appendizits („Blinddarmentzündung“). Erschwerend hinzukommend ist, dass der Befund durch einen Strang des Bauchfettnetzes (Omentum majus) abgedeckt ist was in diesem Fall zur Verdrehung und Verschluss des Darmes (Ileus) geführt hat. Nebenbefundlich finden sich erneut Ascariswürmer im Dünndarm. 

Es folgt die Entfernung eines großen und tiefgelegenen Fettgewebstumors incl. Unterkieferspeicheldrüse rechts bei einem Fünfjährigen. Die Gewebedifferenzierung (Aspekt eher gutartig) ist noch unklar. Der Versand von Präparaten zur Gewebeuntersuchung durch einen Pathologen  stellt hier die Ausnahme da, wohingegen in unseren Breiten nahezu jedes Präparat eingesandt wird. Es fehlt natürlich die therapeutische Konsequenz, da Chemotherapie oder Bestrahlung hier für die wenigsten Patienten verfügbar sind. Erfreulicherweise geht der Eingriff in dieser anatomisch brisanten Region ohne Beeinträchtigung des mimischen Mundastes des Gesichtsnervs oder des Zungennervs und der Kleine ist rasch zuhause.

In den folgenden Tagen geht das Programm insbesondere unfallchirurgisch in die Länge. Prof. Rainer Kujat implantiert zahlreiche Platten und nutzt für mehrere Osteosynthesen das  vorhandene SIGN-Nagelsystem. Dieses Produkt wurde als einfaches und universelles System für unterschiedliche Frakturen langer Röhrenknochen gezielt für die Bedürfnisse von Entwicklungsländern entwickelt. Die Hospitäler in diesen Regionen sind natürlich finanziell nicht in der Lage für jede Fraktur ein spezielles System vorzuhalten und daher mit diesem System in der Lage trotzdem eine Versorgung zu gewährleisten. Im Rahmen des Aufenthalts werden ein Oberschenkel-, eine Schienbein und ein Oberarmbruch mit dem SIGN-Nagel versorgt (http://signfracturecare.org/).  Weiterhin stehen täglich Unterarmschaftbrüche zur operativen Versorgung mit Platten an. Man hat den Eindruck, dass der klassische Speichenbruch handgelenksnah (distale Radiusfraktur) hier gar nicht erst ins Krankenhaus kommt, zumindest sehen wir nicht viele davon.
Am Mittwoch werden die Eingriffe nach der täglichen Unterarmfraktur kleiner. Metallentfernung , Ganglion, Strecksehnennaht am Fuß nach Axtverletzung, offene Reposition bei älterer Auskugelung des Oberarms sind in unseren Breiten ebenfalls kleines Tagesgeschäft.

Besondere Erwähnung soll der Fall des bedauernswerten Jean-Pierre finden, der seit einigen Wochen stationär liegt. Alle Versuche eine Weichteildeckung des offenen Unterschenkelbruchs mit Osteomyelitis waren bisher gescheitert. Auch die äußere Fixierung beider Unterschenkel und eines Hautlappentransfer von einem Bein auf das andere droht zu scheitern, so dass sich der 25jährige Patient zwei möglichen und schrecklichen Realitäten ausgesetzt sieht. Eine mehrmonatige stationäre Behandlung zu Rettung des Unterschenkels mit ungewissen Ausgang und gleichzeitigem Fehlen des Haupternährers der Familie oder eine Unterschenkelamputation mit danach rasch möglicher Entlassung. Problematisch ist bei letzterem, dass die gesetzliche Krankenversicherung zwar die medizinische Behandlung, aber keinesfalls die Unterschenkelprothese bezahlt. Und nun stelle man sich Jean-Pierre vor, wie er auf Gehstützen über sein Feld läuft, nicht zur Landarbeit fähig, gleichzeitig die erforderlichen 300.000 ruandischen Franc (etwa 340 €) für eine Prothese, die ihn weitgehend arbeitsfähig machen würde nicht aufbringen kann.


gangränöse Appendizitis mit Abdeckung durch Omentum majus und Darmverschluss im Sinne eines Strangileus


lipomatöser Unterkiefertumor


1 Kommentar:

  1. Hallo und vielen Dank für den tollen Artikel zu Unfallchirurgie. Meine Bekannte musste neulich in die Unfallchirurgie in Salzburg. Sie hatte sich ein Messer auf den Fuß fallen lassen.

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