Freitag, 7. November 2014

Straffes Programm

Donnerstag 6.11.2014 – Freitag 7.11.2014

Warnung vorab: Einige der unten gezeigten Bilder können auf Einige verstörend wirken (wie es so schön heisst). Da Chirurgie zentraler Inhalt unseres gesamten Aufenthalts ist sind sie für Andere aber auch sehr interessant.


Es bleibt wenig Zeit zurückzublicken, für Donnerstag haben wir uns sechs Operationen auf das Tagesprogramm geschrieben (es wurden dann sogar sieben). Keloide sind uns überwiegend als überschießende Narbenbildungen bekannt. Sie treten bei Afrikanern deutlich häufiger und häufiger spontan auf. Diese derben bindegewebigen Hautwucherungen sind kosmetisch unschön aber ansonsten harmlos. Eine 19-jährige Frau möchte so etwas natürlich ungern 3cm groß im Gesicht haben. Entgegen meinem vor 2,5 Jahren (im Rahmen einer blutigen und lokalanästhetisch knappen Ohrkeloidentfernung getroffenen) Vorsatz dies nicht mehr unbedingt operieren zu wollen, mache ich einfach das was auf dem Plan steht. Hier ist es verständlicherweise üblich, dass die Dame das subkutane Kortikoid zur Rezidivprophylaxe selbst beschafft und in Ampullenform mitbringt. Ist das alles unbedingt nötig? Nein, natürlich nicht, insofern mal eine Gemeinsamkeit zum heimischen Medizinbetrieb.


Leistenhernie und Leistenhernie allein mit scrub und anaesthetic nurse (Deutschland idR: Operateur, Assistent, OP-Schwester, Springer, Anästhesist, Anästesiepfleger), im minor op und wir nähern uns dem avisiertem Tageshighlight. Der afrikanische agriculturalist hat übrigens einen massiv ausgeprägteren M.abd.int (Beobachtung n=3) als die deutsche Coach Potatoe, soweit nicht verwunderlich, dennoch stellt in beiden Kulturen der Leistenbruch eine der häufigsten allgemeinchirurgischen Behandlungen da. Dieudonne hilft Rainer derweil bei der komplizierten Versorgung eines offenen Schienbeinbruchs mit Knochen- und Weichteildefekt (Fixateur externe und cross tibia flap).


Wie schon irgendwo zuvor erwähnt steht noch die  Versorgung einer wiedergekehrten Narbenhernie an (vorangegangener Kaiserschnitt-> Narbenbruch -> operative Versorgung -> Wundheilungsstörung -> ausgedehntes Rezidiv). Implantation von Fremdmaterialien ist unter weniger als den heimisch gewohnten sterilen Kautelen nicht unbedenklich, hier aber unumgänglich. Ein Fliegengitter statt separatem Lüftungssystem, nur teilweise vorhandener Alkohol (ansonsten PVP-Iod im amerikanischen Stil), aber im Rahmen der Umstände wird sonst die Infektprophylaxe eingehalten, auch wenn die von Sr. Sabine eingeführte Errungenschaft der Nutzung der OP-Mäntel wie vorgesehen als Wickelkittel noch nicht allseits umgesetzt und verstanden wird. Wie Bilder bezeugen ist der dunkelgrüne Gespenster-Look mit „offenem Rücken“ noch präsent.  Es wird nach Absprache wie üblich eine präoperative Antibiotikaprophylaxe (single shot)  gegeben, ansonsten wird für meinen allgemeinchirurgischen Anspruch (orthopaedic surgeon Rainer sieht das naturgemäß anders) auf Sterilität geachtet, Klebetücher gibt’s natürlich nicht. Das martialisch erscheinende Festklemmen der Tuchklemmen an der Patientenhaut erweist sich als praktisch, sonst passsiert es rasch dass die Tücher auf der schmierigen PVP-Iod-Haut während einer OP dreimal in den unsterilen Bereich rutschen. Es gibt nach dem Gebet nun auch wie daheim ein Team-Time-Out mit den relevanten Kommuniationspunkten zwischen OP-Team und Anästhesie. Nun fehlt aber für die Versorgung der Hernie ein adäquat großes Polypropylene-Netz, so dass aus den dutzendfach vorhandenen kleineren ein Ersatzstück gebastelt wird. Nices Sublay, teamorientierte Chirurgie mit Dieudonne, so macht’s Spass, manche allgemeinchirurgischen Eingriffe vermisse ich etwas in meiner aktuellen Tätigkeit.


Eine Patientin mit Subileus, Dehydratation und nach Eigenanamnese seit 21 Jahren (der Genozid ist auch für die frühere Anamnese ein schmerzhaftes Engramm) bestehendem raumfordernden Prozess im Unterleib kommt im reduzierten AZ als weiterer Punkt im Dienst. Die präoperative Stabilisierung gelingt gut. Die mediane Laparotomie muss mehrfach erweitert werden um den beinahe fußballgroßen Ovarialtumor zu bergen. Wolfgang F.A., wenn du das liest, ich danke dir. Geduldige Adhäsiolyse und ein souverän und vorausschauend instrumentierender Isaka (mit Manasse der „Oldie“ der OP-Pfleger), der uns nach modernen Erkenntnissen die PDS-Schlinge zum Faszienverschluss reicht. Leicht euphorisiert geht es nach einem leckeren einheimischen Bier (Mützig -> ob es das im deutschen Fachhandel gibt?), die liebe Sabine hat es aus dem nahen Dorf Tyazo in die Missionsstation geschleust (murakoze), ins Bett.


Freitag ist das Programm ruhiger, für mich. Ein großes Axilla-Lipom nach vorangegangener Vorbehandlung mit „traditional medicin“, oberflächliche Ritzer eines dörflichen Heilers ohne Behandlungserfolg, wird exzidiert, ferner ein weitere Leistenhernie mit Bassini nach Art des Hauses versorgt, der üppig vorhandene M. abd. int. dient dieser Methode. Dieudonne assistiert Rainer um ein paar Einblicke in die hier so wichtige Unfallchirurgie zu erhalten. Es ist und bleibt eine Krux. Die operative Versorgung von komplizierten und offenen Frakturen ist hier eigentlich was die Masse der täglich eintreffenden Patienten angeht das A und O. Diese ist allerdings ohne intraoperatives Röntgen, mit unvollständigem, knappem, nur eingeschränkt  funktionsfähigem Instrumentarium, nicht erlernbar. Rainer operiert an diesem Tag zwei Oberschenkelbrüche, einen Schlüsselbeinbruch mit deutlicher Disloation und eine Epicondylus ulnaris-Fraktur (die auswärtigen Vorbehandler hatten den Condylus radialis gespickt, eine Seitenverwechslung der besonderen Art). Die jahrzehntlange Erfahrung erlaubt es ihm auch unter widrigen Bedingungen zurechtzukommen. Für einen Newbie ist es schlicht unmöglich, es gibt kaum einen Ansatz dies zu ändern.


Für die einheimische OP-Mannschaft ist es schwierig in den unterschiedlichen Einflüssen aus Europa und Amerika eine klare Linie zu finden, es wird an den Raum einer kleinen Allgemein- und Unfallchirurgie aber die Anforderung für zusätzlich Uro, HNO, Kinder- und Viszeralchirurgie gehalten. Die kleine Mannschaft der OP- und Anästhesiepflege bedient nebenbei noch einen ganztägigen ambulanten und stationären Verbandsraum (Sr. Stephanie aus Illinois arbeitet hier mit großem Engagement mit, viele kleine Eingriffe wie aufwändige Verbandwechsel, Abszessspaltungen oder Beschneidungen sind außerhalb ärztlicher Tätigkeit). Ebenso sind sie auch für die im gynäkologischen OP täglich laufenden Kaiserschnitte zuständig. 




Operative Hernienversorgung 


 Rainer macht wie immer gute Miene.



Gilbert ist das was bei uns der anästhesiologische Chefarzt wäre. Er ist diplomierter Anästhesiepfleger.







Ein jahrzehntealter zystischer Ovarialtumor

Gutartiger Fettgewebstumor (Lipom) nach stattgehabter Behandlung mit "traditional medicin"

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