Mittwoch, 5. November 2014

Verwaltung von Mangel


Dienstag 4.11.2014 – Mittwoch 5.11.2014



Die Patellazuggurtung bei Querfraktur macht Rainer gut und schnell, die Revision einer voroperierten Hydrozele zeigt ein infiziertes Hämatom Gewebsnekrosen, so dass hier die Orchidektomie und das Debridement erfolgt. Es werden uns drei Kinder/Säuglinge auf der Kinderstation gezeigt, die mehr oder weniger ausgeprägte Atemprobleme/ Herzprobleme und in einem Fall einen auf Kortison therapierefraktären inspiratorischen Stridor  haben. Die zugehörigen Röntgenbilder zeigen deutlich vergrößerte Herzen. Hier wäre unter unseren europäischen Maßstäben eine kinderkardiologische oder kinderherzchirurgische Konsultation erforderlich, ferner auch eine Abklärung einer Tracheomalazie. All dies ist hier nicht verfügbar, wenn überhaupt im Land, dann in Kigali.

Eine Überweisung in ein anderes Krankenhaus stellt unter den Bedingungen einer armen durch Landwirtschaft  selbstversorgenden Bevölkerung in den meisten Fällen eine unlösbare Aufgabe da. Die Krankheit eines Angehörigen mit der Notwendigkeit der stationären Behandlung stellt schon an sich eine kritische Situation für die Familie da, auch wenn die Entfernung zum Distriktkrankenhaus nur 2-3h Fußmarsch beträgt. Der Ausfall der Arbeitskraft des Kranken und des/der Versorgenden bringt den Rest der Familie in Not. Teile der Pflege und natürlich die Nahrungsversorgung müssen von Angehörigen getragen werden. Die Reisekosten, Unterbringungskosten, Versorgung mit Nahrung in der Ferne sind für eine bäuerliche Familie bei weitem nicht zu erbringen. Keins der o.g. Kinder wird Volljährigkeit erreichen.

Es wird uns am Dienstag nachmittag ein kritisch kranker 6-jähriger Junge mit reduzierter Kreislauf- und Bewusstseinslage, Fieber sowie einem erheblich gespannten Bauch unter dem Verdacht eines Darmverschluss oder eines Darmdurchbruch vorgstellt. Das Röntgen zeigt erheblich erweiterte Darmschlingen. Die notfallmäßige Operation erbringt einem Spulwurmbefall des Darmes mit geblähten Schlingen, jedoch keinen Verschluss und keinen Durchbruch. Es folgt die Dekompression des Darmes. Zum Ende der Operation wird der Junge zunehmend kreislaufinstabil und bradykard, schließlich mechanisch reanimationmspflichtig. Die Behandlung mit Ephedrin nach hiesigem Standard ist erfolglos. NaBic zur Behandlung der sicherlich bestehenden metabolischen Azidose ist eben sowenig verfügbar, wie eine Elektrolyt- oder BGA-Bestimmung. 0,05mg Adrenalin-Boli und literweise Infusionen bringen zunächst wieder einen messbaren Kreislauf. Der Junge wird auf der „Intensivstation“ intubiert beutelnachbeatmet (dies wird zunächst von der nachtdiensthabenen Anästhesie-Schwester, am Folgetag von der Mutter und z.T. dem Geschwisterkind übernommen). Adrenalin wird mittel 2mg/500ml RL-Infusion und Tropfenzähler appliziert. Nachdem zunächst eine Stabilisierung erreicht scheint, tritt am Folgetag hohes Fieber bis >41°C auf (Dieudonne vermutet auch wg. der initial schlechten Bewusstseinslage eine zusätzlich bestehende Malaria).Wir legen in Ermangelung von Zugangsmöglichkeiten und bei weiterer Katecholaminpflichtigkeit einen zentralvenösen Katheter (hier sonst völlig unüblich). Trotz unserer maximalen Bemühungen und Überschreitung der ökonomisch sinnhaften Maßnahmen stirbt das Kind in der Nacht zum Donnerstag. Ein weiteres Kleinkind stirbt am Mittwoch vor meinen Augen an Sepsis bei Dentalabszess. 

Die Ressourcen sind hier knapp, sowohl an Personal/Patient, als auch an Material. Die organisatorischen und strukturellen Defizite kosten zusätzlich Patientenleben. Es kommen permanent neue Patienten in den Männer- und der Frauensaal der surgical ward, auch die „Intensivstation“, die auch gleichzeitig postoperativer Aufwach- und Überwachungsraum und Aufnahmestation für akute Fälle ist, ist mittlerweile bis aufs letzte Bett belegt. Der Begriff "Intensivstation" ist eher irreführend. Es besteht nur die Möglichkeit eines nichtinvasiven Monitorings (Blutdruck, Puls, EKG, Sauerstoffsättigung), keine Beatmung, keine arteriellen oder zentralvenösen Zugänge, keine Perfusoren.

Sr. Sabine begleitet die scrub nurses (OP Pflege) und hilft im Steri mit. Hierbei widmet sie sich der Sichtung, Sortierung, Wartung und des Ersatz der chirurgischen Instrumente, sowie Verbesserung von OP-Kitteln und sterilen Abdeckungen, sowie allgemein hygienischen Verbesserungen.

Es folgen am Mittwoch weitere unfall- und allgemeinchirurgische Eingriffe, wobei der vergebliche Versuch den o.g. Jungen zu stabilisieren unsere Zeit bindet. Aus dem medizinischen Bereich bzw. Rettungswesen ist einigen der Begriff der „Triage“ bekannt unter dem die Verteilung von medizinischen Ressourcen, bzw. die Selektion der Patienten zu verstehen ist, deren Behandlung sinnvoll ist (nicht zu gesund, nicht hoffnungslos). In der Heimat kennt man das eigentlich fast nur bei einem „Massenanfall an Verletzten“ bei notfallmedizinischen Großereignissen oder im klinischen Bereich, wenn die Intensivstation voll belegt ist, und bei einem Neuzugang eben diese Frage gestellt wird (Der bessere Fall: Wer ist der „Joker“ und schafft es auch auf der peripheren Station? Der seltenere und schlechtere Fall: Wer ist so hoffnungslos krank, dass er mit oder ohne Intensivbett versterben wird?). Diese Fragen haben in unseren Breiten große Brisanz. Hier sind sie Alltag, zumal es kein Intensivbett gibt. Für niemanden. Medizin in Entwicklungsländern ist permanente Triage. Wessen Fraktur sollte man operieren damit eine bleibende Behinderung ausbleibt, wer wird unter konservativer Therapie ein tolerables Ergebnis haben.

Kann man unter diesen Umständen guten Gewissens Elektiveingriffe und kosmetische Operationen durchführen? Hierzu mehr am Donnerstag…



Der Befall mit Spulwürmern ist ein Gradmesser für das Ausmaß der Hygiene in einer Population. Auch wenn der Befall durch diese insgesamt in Ruanda abnimmt ist er unter der Landbevölkerung hoch. Auf dem unteren Bild ist die dadurch ausgelöste erhebliche Vergrößerung der Lymphknoten im Gekröse (Lymphadenitis mesenterialis) zu sehen. Der Ruandesi, der es sich leisten kann nimmt alle 3-6 Monate Antihelmintika ein (die dem Leser durch Haustiere bekannte Wurmkur).


Sr. Sabine und das Team der Steris (Reinigung, Desinfektion und Aufbereitung der cirurgischen Instrumente).

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