Sonntag, 16. November 2014

Unfallchirurgischer Freitag und Abreise


Freitag  14.11. - Sonntag 16.11.2014

An unserem letzten Arbeitstag im Kibogora Hospital wird zunächst eine 83jährige Frau mit zertrümmerten Oberschenkel operiert. Hier werden zunächst Schrauben eingesetzt und schließlich mehrere Drähte um den knienahen aus mehreren Teilen bestehenden Bruch zu versorgen. Eine belastungsstabile Osteosynthese ist so leider nicht möglich, die ältere Dame von der Perspektive auf 4 Wochen Bettruhe wenig begeistert. Letzte Dokumentationsaufgaben werden erledigt und prä- und postoperative Röntgenbilder gesichert. Obwohl der Applecomputer in der Radiologie über  die Software Filemaker zum drahtlosen Transfer der Röntgenbilder auf Mobilgeräte verfügt, war es mit dem Android-Äquivalent nicht möglich eine Verbindung herzustellen, die Bilder wurden zum Handgebrauch vom Monitor abfotografiert. Hieran sieht man aber, dass es in mancherlei Hinsicht mit einfachen Verbesserungen (ein Netzwerk-PC im OP-Saal, auf Station…) möglich wäre in den entscheidenden Bereichen auf Röntgenbilder zurückzugreifen. Also auch in Kibogora müssten eigentlich keine Röntgenfolien mehr erstellt und von A nach B getragen werden.

Nach der Mittagspause wird der Oberarmbruch einer jungen Frau mit einem intramedullären Draht versorgt, die Implantation des vorher angesprochenen SIGN-Nagels scheitert am engen Markraum des Oberarms in diesem Fall. Eine in der vorangegangenen Nacht aufgenommene Verletzung stellt sich nach Röntgen als offene Luxationsfraktur des Sprunggelenks heraus, hier war zunächst nur ein Verband (ohne Reposition, ohne Gips) gemacht worden. Einen derartigen Befund würde man bei uns auch zügig operativ versorgen und nicht über das Wochenende liegen lassen, daher sind auch 10 Stunden vor Abreise ein paar Überstunden fällig. Während der OP klingelt bei Jaqueline, der 25j. Anästesieschwester, die die Spinalanästhesie gemacht hat mehrfach das Telefon, der Kreissaal braucht die Dienstmannschaft (anaesthesie und scrub nurse) für einen Kaiserschnitt. Die Versorgung des Innen- und Außenknöchelbruchs des Sprunggelenks erfolgt mittels Platte und Drähten. Damit endet unsere operative Tätigkeit für diesen Einsatz. Ich glaube das Steri-Team war am dankbarsten über unsere Abreise, für sie war das rasche Wideraufbereiten der spärlichen unfallchirurgischen Siebe ein ungekannter Stress.

Ich habe um unser Tun besser nachzuvollziehen die entsprechenden Eingriffe im xls-Format dokumentiert. Während unserer Zeit im Kibogora Hospital haben wir 39 Operationen (3,9/Tag) durchgeführt. Von den 39 Eingriffen waren 25 unfallchirurgisch/ am Bewegungsapparat (davon 23 von Rainer, 2 von mir durchgeführt) und 14 allgemein oder viszeralchirurgisch (von mir durchgeführt), hiervon 5 Laparotomien. Wir haben auf dem unfallchirurgischen Sektor die meisten Patienten operiert, die eine dringliche Indikation besaßen und dennoch dem nachfolgenden Team (Gerhard und Mona Weigand) Patienten übrig gelassen. Wir haben bei allen Eingriffen insgesamt nur zwei Drainagen eingelegt, hauptsächlich weil kaum vorhanden waren und die wenigen uns zu lange abgelaufen und von der Sterilität zu bedenklich erschienen (bei zwei Laparotomien haben wir jeweils einen Blasenkatheter und im anderen Fall eine Thoraxdrainage als Bauchdrainage umfunktioniert). Der letale Verlauf des septischen Jungen war die einzige Majorkomplikation bisher. Das Durchschnittsalter der von uns operierten Patienten betrug 32,5 bei einer Spannweite von 5 bis 83 Jahren. 28% der Patienten waren weiblich, entsprechend 72% männlich.

Am Nachmittag hatte ich noch schnell das in Tyazo gefertigte traditionelle ruandische Kleid fürs Töchterchen abgeholt. Schwester Sabine ist zwar deutlich besser als wir sozial integriert, führt nach zwei Wochen mühelos smalltalk in der Landessprache, dennoch ist sie natürlich traurig über Rainers und meine Abreise und von Heimweh geplagt. Sie wird noch zwei Wochen bleiben und mit dem nächsten Team zurückkehren.

Am Samstag stehen wir um 4 Uhr auf, um 5 Uhr ist die Abfahrt nach Osten Richtung Kigali, wir erreichen die Hauptstadt nach etwa 6 Stunden Fahrzeit. Die voranschreitenden Straßenbauarbeiten werden bald eine deutlich kürzere nördliche Verbindung möglich machen, die die Fahrzeit dann wohl auf etwa 3-4h reduziert. OP-Pfleger Manasse und sein Vater nutzen die Gelegenheit und begleiten uns zu einem 2tägigen Verwandtenbesuch, die Taschen und Koffer werden auf der Ladefläche des Pickups verstaut, das erste Drittel fährt noch eine Schwester aus einem nahegelegenen Healthcenter auf der Ladefläche mit. Als es ungefähr nach der Hälfte regnet, werden auch die Taschen in den Innenraum verbracht und Rainer bekommt ein hautnahes Gefühl von der beengten Gemütlichkeit der afrikanischen Überlandfahrt, ich darf ja als „the biggest“ vorne sitzen. Das „transfer meeting“ in der Kaffeebar des Kigali International beinhaltet neben der Übergabe an Gerhard Weigand (mit dem ich zusammen in 2012 in Kibogora war) und seine Tochter Mona (Ärztin in chirurgischer Weiterbildung) auch ein Treffen mit Dr. Joachim Drechsel  (Vorsitzender des Deutschen Gemeinschaft-Diakonieverbands) , Sheila Etherington (die Kibogora seit Jahrzehnten im Auftrag der methodistischen Mission betreut) und Julie Yerger (als Kinderkrankenschwester ebenfalls jahrelang über die methodistische Mission mit Kibogora verbunden). Es werden hier kompakt die Eindrücke und Hauptprobleme aus unserer Sicht angesprochen.

Nach den üblichen Sicherheitskontrollen fliegen wir auf der gleichen Route wie auf dem Hinflug über die große Drehscheibe zwischen Afrika, Europa und Asien Addis Abeba (wo wir noch 4h Aufenthalt haben). Erst hier finde ich soviel Abstand um mich wieder mit dem Buch „Ego-Spiel des Lebens“ und den Gedanken von Frank Schirrmacher zu befassen. Der Mix aus unterschiedlichen Kulturen, Reisezielen und Motivationen  macht den Transitbereich des Addis Abeba Bole International zu einem sehr interessanten Ort. Sonntag um 6.45 Uhr landen wir fast pünktlich in Frankfurt und um 11 Uhr sitze ich am heimischen Frühstückstisch in Iserlohn.

Donnerstag, 13. November 2014

Donnerstag, vorgezogene Abschiedsfeier



Ruanda und Rauchen? Diese Verbindung besteht zumindest in der Westprovinz praktisch nicht. Ich habe in den vergangenen zwei Wochen niemanden eine Zigarette rauchen sehen. Im Gespräch mit den Kollegen wird deutlich, dass es sicher in den urbaneren Regionen Nikotinfreunde gibt, allgemein jedoch Raucher als „behind“ und mit entsprechendem Missverständnis angesehen werden. 

Ruanda und Alkohol? Die aktiven Anhänger der hiesigen methodistischen Kirche sind wohl im wesentlichen Abstinenzler, wobei ich Gesprächen mit den Kollegen entnehme dass diese strikte Betrachtungsweise nicht allseits geteilt wird. Ruanda hat jedoch natürlich Brauereien, welche die einheimischen Sorten „Primus“, „Mützig“ und „Turbo Lion“ (Ale mit 6,5%) produzieren. Diese ähneln ansonsten eher unseren weniger herben süddeutschen Bieren. Um einen gemeinsamen Sozialabend unter entspannteren Bedingungen als beim letzten mal zu verbringen, wird im zweiten Nachbardorf  Kamuga ein Tisch im Lokal Maseka bestellt um unseren bald bevorstehenden Abschied zu feiern.

Doch zunächst zum Tageswerk. Die Darmerkrankungen aus chirurgischer Sicht sind was die Häufigkeit angeht doch ganz anders als in Europa. Während Darmverschlüsse in Europa häufig durch Darmtumore und entzündliche Engstellungen, sowie durch Verwachsungen nach Voroperationen bedingt sind, sind es hier deutlich häufiger parasitäre Erkrankungen (der vorher erwähnte Ascaris), eingeklemmte Hernien und „Verdrehungen“ die durch größere Beweglichkeit des Darmes bei entsprechend größerer Länge (sicherlich durch balaststoffreichere Ernährungen mitbedingt) resultieren (sog. Volvolus). Erkrankungen wie Darmtumore und z.B. die Sigmadivertikulitis treten ähnlich wie die Appendizitis  erst bei steigendem Wohlstand und entsprechend geänderten Ernährungs- und Aktivitätsgewohnheiten auf. Der 45j.-Patient den Dieudonne in der vorangegangenen Nacht aufgenommen hat, weist einen erheblich geblähten und gespannten Bauch, sowie Stuhlverhalt seit einigen Tagen auf. Die vorausgegangene Selbstbehandlung mit „traditional medicin“ habe natürlich keinen Erfolg gezeigt, berichtet unser kongolesischer Kollege mit süffisantem Unterton. Gleichzeitig habe er (Dieudonne) auch die Aufregung des diensthabenen Internisten nicht verstehen können und den dehydrierten Patienten zunächst einer „resuscitation“ mit Infusionen unterzogen und auf eine nächtliche Operation des dehydrierten Patienten verzichtet (-> der erfahrene Chirurg). Pünktlich um 8 liegt der Patient vorbereitet auf dem OP-Tisch. Die Laparotomie bestätigt die radiologische Verdachtsdiagnose eines Sigmavolvolus, worauf die Entfernung eines ca. 30cm langen massiv dilatierten Sigmacolons erfolgt. Stoma ja/nein ist eine relevante Frage, wobei Dieudonne die gleiche Einstellung wie meine viszeralchirurgische Schule vertritt und bei vitalem Darm ohne Perforation/Peritonitis die primäre Neuverbindung der Enden ohne vorgeschalteten künstlichen Darmausgang favorisiert (wie wir es dann auch machen). Das Standardwerk der Chirurgie in Entwicklungsländern „Primary Surgery“ ist da deutlich vorsichtiger und verbietet fast konsequent ungeschützten Dickdarmanastomosen in Situationen eines akuten Abdomens. Dies ist gleichzeitig auch der letzte allgemeinchirurgische Eingriff meines Aufenthalts, fortan operiert Rainer weitere unfallchirurgische Punkte (u.a. einen Schienenbeinnagel bei Unterschenkelbruch). 
Der unvorhergesehene Eingriff am Morgen sorgt dafür, dass wir erst nach 19 Uhr gemeinsam mit fast der ganzen Anästhesie-, OP-, und Steri-Mannschaft den Weg zum Restaurant Maseka unter nächtlichen Lichtverhältnissen beginnen. (Habt ihr mal versucht bei Dunkelheit afrikanische Bekannte zu identifizieren? ;-) )
Die Stimmung ist entspannt und freundlich. Es gibt als Snacks Fleischspieße und Kochbananenpommes, ferner Limo und Bier. Die Themen beinhalten Medizin und Patienten, Bildungssystem, erlernte Fremdsprachen. Dieudonne erwähnt das er in der glücklichen Situation ist, dass Suaheli (seine „mother language“) eine von den vier amtlich im Kono anerkannten Sprachen ist (insgesamt verfügt die kongolesische Bevölkerung über 450 Sprachen. Weiter geht es mit gegenseitigem Vorsingen und Übersetzen der Nationalhymnen. Charles aus dem Steri hat zur Feier des Tages einen blauweißen Oktoberfesthut aufgesetzt.

Die Frage des perönlichen Umgangs  der Ruandesi mit dem Genozid im Jahre 1994 hatte ich schon vorher oft gewälzt . Wenn man sieht dass in Ruanda 6-jährige bei der Landarbeit helfen, muss man annehmen dass auch 12-jährige Macheten geschwungen haben. Leute meines Alters waren zum Zeitpunkt des Völkermordes als binnen ca. 100 Tagen nahezu eine Millionen Menschen (vornehmlich Tutsi) ermordet wurden 17 Jahre alt. Nahezu alle mit denen wir zusammen arbeiten haben diese schreckliche Zeit aktiv und bewusst erlebt (ob als Opfer, Täter oder unbeteiligt). Ich frage also den gleichaltrigen Gilbert mit aller gebotenen Vorsicht wie der zwischenmenschliche Umgang mit diesem Thema ist, gleichzeitig bin ich fast froh dass die meisten nicht soviel englisch verstehen um unserem Gespräch en detail zu folgen. Er antwortet mir, dass das Thema allseits gemieden werde, dass er auch seinen Kindern auf Nachfrage nicht sage wer welche Rolle gespielt habe. Der Rahmen der der differenzierten persönlichen Aufarbeitung geboten sei sind „moderierte“ Gespräche im Rahmen der Gedenkwoche Anfang April. Es wird mir innerhalb dieser Runde von Menschen bewusst, mit denen ich freund(schaft)lich beisammen sitze, dass eine detaillierte Kenntnis über die Rolle jedes Einzelnen in den Geschehnissen eine unerträgliche Belastung wäre, vielmehr würde ein permanenter offensiver Umgang damit zu einem Zerbrechen der ruandischen Gesellschaft führen. Prozesse wurden geführt, viele Täter hingerichtet oder zu langen Haftstrafen verurteilt. In der Zeit der Kinder- und Enkelkindergeneration der Nazitäter in Deutschland kommt ja gelegentlich der Vorwurf auf, eine frühzeitige Aufarbeitung der Beteiligung aller sei versäumt worden. Erst 50 Jahre später werden der Öffentlichkeit psychologische Überlegungen zum „Tätervolk“, „Hitlers Helfern“, „Soldaten“ angestellt, überlebene 90jährige Täter werden aus Pflegeheimen in Gerichtssäle verlegt.  Mit dem Zeigefinger aus der Gunst der späteren Geburt in die Vergangenheit zu deuten ist ein Einfaches. In einer im Wiederaufbau befindlichen Gesellschaft mit aktuellen essentiellen Problemen zukunftsgewandt zu leben ein Anderes und schwierigeres, das galt/gilt für beide Gesellschaften.


Sigmaresektion bei Sigma elongatum und Volvolus

Tibia-Nagel (SIGN-System)

Dieudonne et moi

Die geballte Kompetenz und Erfahrung der Anästhesie und OP-Pflege des Kibogora-Hospital (Manasse, Gilbert, Joel, Isaka, Emanuel)

Dieudonne und Stationsschwestern während der Visite im Männersaal, links im Bett zwei junge Männer mit jeweils Unterarmfraktur, die sich aufgrund der Belegung das Bett teilen müssen (sollte eigentlich nicht sein, ist aber manchmal/selten unumgänglich).

Mittwoch, 12. November 2014

Kinder- und Unfallchirurgie



Am Sonntagabend 22 Uhr klopft es an der Tür unseres Hauses. Sr. Julie weist auf einen 8-jährigenPatienten mit Bauchschmerzen hin, der sich im Emergency room befindet. 5 Tage kein Stuhlgang, Erbrechen vor 2 Tagen, recht gespannter Bauch und Spiegel im Röntgenbild, eigentlich eine OP-Indikation wäre nicht die schlechte Erfahrung vom Dienstag gewesen. Nachdem in der Nacht unter Infusionstherapie, Magensonde und Abführmaßnahmen keine Besserung eintritt erfolgt gegen 6.30 Uhr die Laparotomie. Die intraoperative Diagnose ist für Afrika eher ungewöhnlich: Appendizits („Blinddarmentzündung“). Erschwerend hinzukommend ist, dass der Befund durch einen Strang des Bauchfettnetzes (Omentum majus) abgedeckt ist was in diesem Fall zur Verdrehung und Verschluss des Darmes (Ileus) geführt hat. Nebenbefundlich finden sich erneut Ascariswürmer im Dünndarm. 

Es folgt die Entfernung eines großen und tiefgelegenen Fettgewebstumors incl. Unterkieferspeicheldrüse rechts bei einem Fünfjährigen. Die Gewebedifferenzierung (Aspekt eher gutartig) ist noch unklar. Der Versand von Präparaten zur Gewebeuntersuchung durch einen Pathologen  stellt hier die Ausnahme da, wohingegen in unseren Breiten nahezu jedes Präparat eingesandt wird. Es fehlt natürlich die therapeutische Konsequenz, da Chemotherapie oder Bestrahlung hier für die wenigsten Patienten verfügbar sind. Erfreulicherweise geht der Eingriff in dieser anatomisch brisanten Region ohne Beeinträchtigung des mimischen Mundastes des Gesichtsnervs oder des Zungennervs und der Kleine ist rasch zuhause.

In den folgenden Tagen geht das Programm insbesondere unfallchirurgisch in die Länge. Prof. Rainer Kujat implantiert zahlreiche Platten und nutzt für mehrere Osteosynthesen das  vorhandene SIGN-Nagelsystem. Dieses Produkt wurde als einfaches und universelles System für unterschiedliche Frakturen langer Röhrenknochen gezielt für die Bedürfnisse von Entwicklungsländern entwickelt. Die Hospitäler in diesen Regionen sind natürlich finanziell nicht in der Lage für jede Fraktur ein spezielles System vorzuhalten und daher mit diesem System in der Lage trotzdem eine Versorgung zu gewährleisten. Im Rahmen des Aufenthalts werden ein Oberschenkel-, eine Schienbein und ein Oberarmbruch mit dem SIGN-Nagel versorgt (http://signfracturecare.org/).  Weiterhin stehen täglich Unterarmschaftbrüche zur operativen Versorgung mit Platten an. Man hat den Eindruck, dass der klassische Speichenbruch handgelenksnah (distale Radiusfraktur) hier gar nicht erst ins Krankenhaus kommt, zumindest sehen wir nicht viele davon.
Am Mittwoch werden die Eingriffe nach der täglichen Unterarmfraktur kleiner. Metallentfernung , Ganglion, Strecksehnennaht am Fuß nach Axtverletzung, offene Reposition bei älterer Auskugelung des Oberarms sind in unseren Breiten ebenfalls kleines Tagesgeschäft.

Besondere Erwähnung soll der Fall des bedauernswerten Jean-Pierre finden, der seit einigen Wochen stationär liegt. Alle Versuche eine Weichteildeckung des offenen Unterschenkelbruchs mit Osteomyelitis waren bisher gescheitert. Auch die äußere Fixierung beider Unterschenkel und eines Hautlappentransfer von einem Bein auf das andere droht zu scheitern, so dass sich der 25jährige Patient zwei möglichen und schrecklichen Realitäten ausgesetzt sieht. Eine mehrmonatige stationäre Behandlung zu Rettung des Unterschenkels mit ungewissen Ausgang und gleichzeitigem Fehlen des Haupternährers der Familie oder eine Unterschenkelamputation mit danach rasch möglicher Entlassung. Problematisch ist bei letzterem, dass die gesetzliche Krankenversicherung zwar die medizinische Behandlung, aber keinesfalls die Unterschenkelprothese bezahlt. Und nun stelle man sich Jean-Pierre vor, wie er auf Gehstützen über sein Feld läuft, nicht zur Landarbeit fähig, gleichzeitig die erforderlichen 300.000 ruandischen Franc (etwa 340 €) für eine Prothese, die ihn weitgehend arbeitsfähig machen würde nicht aufbringen kann.


gangränöse Appendizitis mit Abdeckung durch Omentum majus und Darmverschluss im Sinne eines Strangileus


lipomatöser Unterkiefertumor


Montag, 10. November 2014

Fünf Sterne zum Schimpansen-Trekking


Samstag 8.11. - Sonntag 9.11.

Ist es moralisch fragwürdig in Ruanda 270 US-Dollar für eine Übernachtung mit VP zu bezahlen, zumal das Geld wahrscheinlich zum allergrößten Teil zu einem Konzern nach Dubai geht und nicht der einheimischen Ökonomie zufließt? Sicherlich, genauso wie Autofahren und Zigarettenrauchen und genauso üblich für europäische und nordamerikanische Touristen, die zu eine Lizenz für unterschiedliche buchbare Touren erwerben, die zur Beobachtung von Tieren im Nyungwe Nationalpark angeboten werden.

Die Nyungwe Forest Lodge liegt am Rande des Nyungwe inmitten von ausgedehnten Teeplantagen. Hier wird im afrikanischen Design 5-Sterne –Luxus geboten, klimatisierte Zimmer und ein Bett in dem man auch gerne länger als eine halbe Nacht schlafen möchte.  Auch wenn sicherlich die meisten schon aus Prinzip nicht 220 € für eine Übernachtung zahlen, ist der Reiz der Schimpansen (Lizenz 90 Dollar) doch größer und im Pool zu chillen und einheimische Biere für 3 Dollar zu süppeln erweist sich als adäquat für den Samstagnachmittag und –abend. John, der uns zugeteilte Kellner ist der beste Mann mit ansteckendem Lachen und übertriebener Höflichkeit. Lunch, Pool und Dinner werden in gepflegter und gelöster Atmosphäre wahrgenommen, YOLO.

Am Sonntagmorgen klingelt der Wecker um 4 und gegen 6 befinden wir uns in einem Teil des Nationalparks welcher von 30 Schimpansen bewohnt ist. Im Gegensatz zu den Berggorillas welche in freier Wildbahn in den Vulkanbergen an der Ruandisch-ugandischen Grenze im Norden  beobachtet werden können und die eher phlegmatisch am Ort verharren, sind unsere nächsten Verwandten dauernd in Bewegung, bauen zwar gelegentlich Nester in den Bäumen, die sie aber nie mehrfach nutzen. Die Nationalparksverwaltung  beschäftigt Wildhüter die den Aufenthaltsort und Schutz der Schimpansen überwachen, wobei in Ruanda wohl keine Gefahr von menschlicher Jagd für die Affen ausgeht. Parkguide Christopher:  “…not part of our culture, you won’t share a beer with someone eating a monkey.” Größere Gefahr ist dann doch die Verkleinerung der Lebensräume durch das menschliche Bevölkerungswachstum (aktuelle Bevölkerungsdichte ca. 400/km²).

Es sind noch ein Paar in Südafrika lebende Kanadier (machen was mit Entwicklung und Landwirtschaft), britische Hämatologen (und Hobbyortnithologen, irgenwie passend), sowie ein junger amerikanischer Internist, der längerfristig an der Unikilinik in Butare arbeiten will mit dabei. Auf einen Träger für 10 Dollar verzichten wir. Nachdem die sog. Tracker die Position der Tiere über Funk mitteilen, überqueren die Schimpansen irgendwann den Waldweg zum Fotoshooting, Wildjagd mit Kameras, soweit, so gut. Dann geht es in den Urwald und bergauf bergab in der Hoffnung erneut mit den Affen in Kontakt zu treten. Aufgrund der uns himmelweit überlegenen Mobilität wird das Chimpanzee-Trekking zum schweißtreibenden Outdoor-Workout (verdammte Wohlstandserkrankungen) und auch die Tracker scheinen zu zweifeln ob das noch klappen wird. Nach einem steilen Aufstieg abseits der Trampelpfade sitzt die Sippe dann doch zum Blättersnack vor uns in den Bäumen und erholt sich vom Stress des Morgens, ein Ehrfurcht gebietender Moment und ein sehr informativer Vormittag. Es sind dann 4 Stunden Urwaldmarsch insgesamt, was dazu führt, dass außer Rückfahrt in die Mission, Rehydratation und Aufholen von Schlafmangel am Sonntag nicht mehr viel läuft.



John

Parkguide Christopher nimmt per Funk neue Ortsbestimmungen entgegen.



ganz rechts: der einzige von 5 Portern, der einen Job bekam und heute überdurchschnittlich gut für einfacheArbeit verdient

Freitag, 7. November 2014

Straffes Programm

Donnerstag 6.11.2014 – Freitag 7.11.2014

Warnung vorab: Einige der unten gezeigten Bilder können auf Einige verstörend wirken (wie es so schön heisst). Da Chirurgie zentraler Inhalt unseres gesamten Aufenthalts ist sind sie für Andere aber auch sehr interessant.


Es bleibt wenig Zeit zurückzublicken, für Donnerstag haben wir uns sechs Operationen auf das Tagesprogramm geschrieben (es wurden dann sogar sieben). Keloide sind uns überwiegend als überschießende Narbenbildungen bekannt. Sie treten bei Afrikanern deutlich häufiger und häufiger spontan auf. Diese derben bindegewebigen Hautwucherungen sind kosmetisch unschön aber ansonsten harmlos. Eine 19-jährige Frau möchte so etwas natürlich ungern 3cm groß im Gesicht haben. Entgegen meinem vor 2,5 Jahren (im Rahmen einer blutigen und lokalanästhetisch knappen Ohrkeloidentfernung getroffenen) Vorsatz dies nicht mehr unbedingt operieren zu wollen, mache ich einfach das was auf dem Plan steht. Hier ist es verständlicherweise üblich, dass die Dame das subkutane Kortikoid zur Rezidivprophylaxe selbst beschafft und in Ampullenform mitbringt. Ist das alles unbedingt nötig? Nein, natürlich nicht, insofern mal eine Gemeinsamkeit zum heimischen Medizinbetrieb.


Leistenhernie und Leistenhernie allein mit scrub und anaesthetic nurse (Deutschland idR: Operateur, Assistent, OP-Schwester, Springer, Anästhesist, Anästesiepfleger), im minor op und wir nähern uns dem avisiertem Tageshighlight. Der afrikanische agriculturalist hat übrigens einen massiv ausgeprägteren M.abd.int (Beobachtung n=3) als die deutsche Coach Potatoe, soweit nicht verwunderlich, dennoch stellt in beiden Kulturen der Leistenbruch eine der häufigsten allgemeinchirurgischen Behandlungen da. Dieudonne hilft Rainer derweil bei der komplizierten Versorgung eines offenen Schienbeinbruchs mit Knochen- und Weichteildefekt (Fixateur externe und cross tibia flap).


Wie schon irgendwo zuvor erwähnt steht noch die  Versorgung einer wiedergekehrten Narbenhernie an (vorangegangener Kaiserschnitt-> Narbenbruch -> operative Versorgung -> Wundheilungsstörung -> ausgedehntes Rezidiv). Implantation von Fremdmaterialien ist unter weniger als den heimisch gewohnten sterilen Kautelen nicht unbedenklich, hier aber unumgänglich. Ein Fliegengitter statt separatem Lüftungssystem, nur teilweise vorhandener Alkohol (ansonsten PVP-Iod im amerikanischen Stil), aber im Rahmen der Umstände wird sonst die Infektprophylaxe eingehalten, auch wenn die von Sr. Sabine eingeführte Errungenschaft der Nutzung der OP-Mäntel wie vorgesehen als Wickelkittel noch nicht allseits umgesetzt und verstanden wird. Wie Bilder bezeugen ist der dunkelgrüne Gespenster-Look mit „offenem Rücken“ noch präsent.  Es wird nach Absprache wie üblich eine präoperative Antibiotikaprophylaxe (single shot)  gegeben, ansonsten wird für meinen allgemeinchirurgischen Anspruch (orthopaedic surgeon Rainer sieht das naturgemäß anders) auf Sterilität geachtet, Klebetücher gibt’s natürlich nicht. Das martialisch erscheinende Festklemmen der Tuchklemmen an der Patientenhaut erweist sich als praktisch, sonst passsiert es rasch dass die Tücher auf der schmierigen PVP-Iod-Haut während einer OP dreimal in den unsterilen Bereich rutschen. Es gibt nach dem Gebet nun auch wie daheim ein Team-Time-Out mit den relevanten Kommuniationspunkten zwischen OP-Team und Anästhesie. Nun fehlt aber für die Versorgung der Hernie ein adäquat großes Polypropylene-Netz, so dass aus den dutzendfach vorhandenen kleineren ein Ersatzstück gebastelt wird. Nices Sublay, teamorientierte Chirurgie mit Dieudonne, so macht’s Spass, manche allgemeinchirurgischen Eingriffe vermisse ich etwas in meiner aktuellen Tätigkeit.


Eine Patientin mit Subileus, Dehydratation und nach Eigenanamnese seit 21 Jahren (der Genozid ist auch für die frühere Anamnese ein schmerzhaftes Engramm) bestehendem raumfordernden Prozess im Unterleib kommt im reduzierten AZ als weiterer Punkt im Dienst. Die präoperative Stabilisierung gelingt gut. Die mediane Laparotomie muss mehrfach erweitert werden um den beinahe fußballgroßen Ovarialtumor zu bergen. Wolfgang F.A., wenn du das liest, ich danke dir. Geduldige Adhäsiolyse und ein souverän und vorausschauend instrumentierender Isaka (mit Manasse der „Oldie“ der OP-Pfleger), der uns nach modernen Erkenntnissen die PDS-Schlinge zum Faszienverschluss reicht. Leicht euphorisiert geht es nach einem leckeren einheimischen Bier (Mützig -> ob es das im deutschen Fachhandel gibt?), die liebe Sabine hat es aus dem nahen Dorf Tyazo in die Missionsstation geschleust (murakoze), ins Bett.


Freitag ist das Programm ruhiger, für mich. Ein großes Axilla-Lipom nach vorangegangener Vorbehandlung mit „traditional medicin“, oberflächliche Ritzer eines dörflichen Heilers ohne Behandlungserfolg, wird exzidiert, ferner ein weitere Leistenhernie mit Bassini nach Art des Hauses versorgt, der üppig vorhandene M. abd. int. dient dieser Methode. Dieudonne assistiert Rainer um ein paar Einblicke in die hier so wichtige Unfallchirurgie zu erhalten. Es ist und bleibt eine Krux. Die operative Versorgung von komplizierten und offenen Frakturen ist hier eigentlich was die Masse der täglich eintreffenden Patienten angeht das A und O. Diese ist allerdings ohne intraoperatives Röntgen, mit unvollständigem, knappem, nur eingeschränkt  funktionsfähigem Instrumentarium, nicht erlernbar. Rainer operiert an diesem Tag zwei Oberschenkelbrüche, einen Schlüsselbeinbruch mit deutlicher Disloation und eine Epicondylus ulnaris-Fraktur (die auswärtigen Vorbehandler hatten den Condylus radialis gespickt, eine Seitenverwechslung der besonderen Art). Die jahrzehntlange Erfahrung erlaubt es ihm auch unter widrigen Bedingungen zurechtzukommen. Für einen Newbie ist es schlicht unmöglich, es gibt kaum einen Ansatz dies zu ändern.


Für die einheimische OP-Mannschaft ist es schwierig in den unterschiedlichen Einflüssen aus Europa und Amerika eine klare Linie zu finden, es wird an den Raum einer kleinen Allgemein- und Unfallchirurgie aber die Anforderung für zusätzlich Uro, HNO, Kinder- und Viszeralchirurgie gehalten. Die kleine Mannschaft der OP- und Anästhesiepflege bedient nebenbei noch einen ganztägigen ambulanten und stationären Verbandsraum (Sr. Stephanie aus Illinois arbeitet hier mit großem Engagement mit, viele kleine Eingriffe wie aufwändige Verbandwechsel, Abszessspaltungen oder Beschneidungen sind außerhalb ärztlicher Tätigkeit). Ebenso sind sie auch für die im gynäkologischen OP täglich laufenden Kaiserschnitte zuständig. 




Operative Hernienversorgung 


 Rainer macht wie immer gute Miene.



Gilbert ist das was bei uns der anästhesiologische Chefarzt wäre. Er ist diplomierter Anästhesiepfleger.







Ein jahrzehntealter zystischer Ovarialtumor

Gutartiger Fettgewebstumor (Lipom) nach stattgehabter Behandlung mit "traditional medicin"